Projektbeschreibung

1. Vorbereitung

Unter der etwas provozierenden Überschrift: „Mit Geigen gegen Pisa“ wurde in der Schloßparkschule (Grundschule) Geislautern die Idee geboren, beginnend mit dem Schuljahr 2004/05 ein Projekt zu starten, bei dem eine komplette 1. Grundschulklasse mit dem Erlernen eines Streichinstrumentes beginnt.

Angestoßen durch die Ergebnisse der PISA-Studie und in der Überzeugung einer fördernden Wirkung von Instrumentalunterricht bei Kindern (Intelligenz, Kreativität, Phantasie, soziale Kompetenz und Stärkung der Persönlichkeit), die nicht zuletzt noch einmal durch die Bastian-Studie untermauert wurde, sollte die Spontaneität und Offenheit von Grundschulkindern möglichst früh ausgeschöpft und das darin schlummernde Potential geweckt werden.

Musik als Förderunterricht im besten und weitest reichenden Sinn.

Zum damaligen Zeitpunkt war das Projekt das einzige bundesweit, das den Streicherunterricht in dieser Form für alle Kinder einer Grundschule geöffnet hat.

In der Zwischenzeit sind immer weitere Projekte durch unsere Anregung entstanden und haben von unseren Erst-Erfahrungen profitiert (insbesondere auch was Beshcaffung von Instrumenten und Ausgestaltung des Unterrichts angeht)

Im Saarland gibt es aktuell zwei Projekte. Weitere sind in Salzburg, Münster, München und Bremen entstanden oder geplant, wobei die Projektleiter sich z.T. durch mehrtägige Besuche bzw. durch persönliche Treffen über unser das Geislauterner Projekt informiert haben

Die ideelle Patenschaft hat damals spontan der Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken, Herr Günther Herbig, übernommen.

In der Folge waren Streicherkinder bereits zu zwei Probenbesuchen beim Rundfunkorchester eingeladen und durften zusammen mit den RSO-Musikern musizieren.

Natürlich nehmen auch der musikalisch-kulturelle Aspekt einer intensiven Musikausbildung, das Erkennen von Begabungen und die weitere Förderung der Kinder einen wesentlichen Raum ein.

Nach den ersten noch wagen Überlegungen, wie ein solches Projekt aussehen könnte, entschlossen wir uns schnell, die Instrumente Geige, Bratsche Cello anzubieten.

Das größte Problem war die Finanzierung und Beschaffung von geeigneten Instrumenten, da (wenigstens im ersten Jahr) den Eltern keine Kosten entstehen sollten. Dies vor allem unter dem Aspekt, dass finanzielle Überlegungen kein Kind ausschließen sollten.

Außerdem mussten/müssen Instrumentenschränke in den Klassen installiert werden, da die Instrumente zunächst in der Klasse verbleiben.

Bei der Suche nach Sponsoren wurde sehr schnell eine große Akzeptanz und reges Interesse an dem einzigartigen Projekt sichtbar, so dass ein großer Teil des finanziellen Bedarfs aus diesen Quellen gedeckt werden konnte.

Ständige persönliche Ansprache, hunderte von Briefen und Telefonaten waren nötig, um die erforderliche Summe (am Anfang ca. 15.000,- € inzwischen ca. 90.000,- €) zusammen zu bringen.

Schulbudget (Schulträger) und Schulverwaltung wurden durch diese private Form der Finanzierung zunächst nicht belastet.

Begleitend dazu wurde und wird das Projekt in Presse, Rundfunk und Fernsehen vorgestellt und dort sehr positiv besprochen. Trotz anfänglicher Bedenken konnte pünktlich zum Projektstart die erforderliche Anzahl von Instrumenten finanziert werden.

Die Instrumente wurden bei einem Saarbrücker Geigenbauer gekauft, der auch die weitere Betreuung (Reparaturen, Wechsel zu größeren Instrumenten u. a.) gewährleistet.

Es sollte von Beginn an auch bei den Instrumenten auf Qualität geachtet werden, um den Kindern eine optimale Klangvorstellung und -erzeugung zu ermöglichen.

2. Beginn des Projektes

Bereits bei der Anmeldung zur Einschulung wurden die Eltern der Schulneulinge mit dem Projekt vertraut gemacht, und die Möglichkeit gegeben, ihr Kind für die „Streicherklasse“ anzumelden.

Ca. 4 Wochen nach Schulbeginn wurden die „Streicherkinder“ mit ihren Eltern zu einem Begrüßungskonzert geladen.

Danach konnten die Kinder die Instrumente ausprobieren und näher anschauen.

Für den zweiten Durchgang (Schuljahr 2005/06) wurde das Begrüßungskonzert bereits von den Kindern der ersten Klasse mitgestaltet.

Parallel dazu hatten die jetzigen Schulneulinge seit Beginn des Schuljahres die Möglichkeit, gelegentlich den Zweitklässlern zuzuschauen und Instrumente auszuprobieren.

Hier sei noch angemerkt, dass die Schule in einem Einzugsgebiet mit relativ hohem Ausländeranteil und hoher Arbeitslosigkeit liegt. Es handelt sich keinesfalls um eine „ausgesuchte Klientel“.

Von Beginn an war mit eingeplant, dass im Laufe des ersten Jahres eine gewisse Anzahl von Kindern abspringen könnten.

Das Gegenteil ist der Fall: Die Kinder sind weit davon entfernt, „ihr“ Instrument aufzugeben – Schüler anderer Klasse zeigen zunehmend Interesse ebenfalls in irgendeiner Form teilzuhaben und ein Streichinstrument zu erlernen.

3. Der Unterricht

Auf Antrag der Schule wurde der Streicherklasse vom Kultusministerium im Rahmen des „Erweiterten Musikunterrichts“ eine dritte Musikstunde zugestanden.

Die Honorare für die Instrumentallehrer werden im Rahmen des „Kulturellen Praktikums“ jeweils rückwirkend am Ende des Schuljahres je zur Hälfte vom Kultusministerium und der Stiftung „Arbeit und Kultur“ ausgezahlt. Diese Maßnahme ermöglicht die Beschäftigung von externen Übungsleitern, Chorleitern und kulturellen Fachkräften im Rahmen schulischer Aktivitäten (Instrumentalgruppen, Schulchöre, Theater- oder Tanzgruppen).

Was den Unterricht in der Form unseres „Streicherprojektes“ anging, konnten wir bis dahin auf keinerlei Erfahrungswerte und pädagogische Modelle zurückgreifen.

Besonders das gleichzeitige Unterrichten von drei unterschiedlichen Streichinstrumenten hat anfänglich Fragen aufgeworfen, die zu klären waren.

Inzwischen konnten durch die gewonnenen Erfahrungen (und auch Fehler) für die folgenden Klassen Strategien und Formen gefunden werden, die  die anfänglichen Probleme vermeiden helfen. So ist aus dem Projekt auch eine Notenreihe mit dem Titel „Strings Attached“  (hier als Beispiel: Max, der Dackelhund)entstanden in der sich praktikabel Stücke für den Klassen-Streicherunterricht wiederfinden.

Die Notenreihe findet inzwischen in Musikschulen und Streicherprojekten bundesweit großen Anklang.

Der eigentliche Instrumentalunterricht wird von ausgebildeten Instrumentallehrerinnen und –Lehrern erteilt, während der Klassenlehrer (bzw. der in der Klasse eingesetzte Musiklehrer) das tägliche Üben in der Klasse („wie Zähneputzen“) betreut.

Dieses tägliche Üben im Klassenverband hat sich zu einer festen Instanz im allmorgendlichen Unterrichtsablauf etabliert. Die Kinder freuen sich auf diese Stunde und sind mit Begeisterung bei der Sache. Dabei werden neu erlernte Stücke gefestigt, ein Repertoire aufgebaut und Auftritte und Präsentationen vorbereitet.

Noten werden „im Vorbeigehen“ gelernt. – So sind Noten in jeglicher Form ständig in der Klasse präsent. (Als Tafelbilder, Partituren, Notenspiele)

Häufig fragen Kinder die mit ihrer regulären Arbeit fertig sind, ob sie sich noch mit dem bereit liegenden Notenspiel beschäftigen dürfen.

Inzwischen hat ist es auch üblich, dass einzelne Kinder oder Gruppen von zwei oder drei Kindern, nachdem sie ihre schulische Arbeit erledigt haben, ihr Instrument nehmen und sich in einen freien Nachbarraum zum Üben zurückziehen. Dabei kontrollieren sie gegenseitig ihr Spiel und ihre Haltung.

Das gemeinsame Üben in der Schule/Klasse hat zudem weitere, nicht zu unterschätzende Funktionen und Effekte:

  • Die Eltern sind mit dem bei Einzelschülern meist als lästig empfundenen Üben nicht belastet, was zu einem entspannten Umgang beiträgt.
  • Die Kinder freuen sich auf das gemeinsame Üben und erleben die gemeinsamen Fortschritte positiv.
  • Das „aufeinander hören“ wird gefördert.
  • Die Disziplin wird als wichtige Größe von allen eingesehen, da sonst ein gemeinsames Arbeiten unmöglich wäre. (So sind Gäste und Zuhörer immer wieder erstaunt, mit welcher Konzentration und Disziplin die Kinder – auch schon im 1. Schj. –  auftreten.)
  • Das Zusammenspiel fördert die rhythmische Präzision.
  • In der großen Gruppe können sich gute Schüler „austoben“, d.h. sie können frei aufspielen, während Kinder mit Nachholbedarf ohne Probleme etwas leiser spielen oder auch aussetzen können. Zudem werden sie von der Gruppe mitgezogen und getragen und haben auch bei Defiziten ein Erfolgserlebnis.
  • Die Kinder sehen Fehler bei anderen, die sie vielleicht selbst auch machen (Haltung, Intonation) und achten dadurch auch auf das eigene Spiel.
  • Die letzte Stunde vor dem Wochenende ist als feste Zeit angesetzt, in der Eltern beim Üben zuhören können. Außerdem werden dann auch meist die Instrumente fürs Wochenende eingepackt (immer mehr Kinder nehmen ihre Instrumente, auch während der Woche, zum Üben mit nach Hause)

Einmal wöchentlich erteilen die Lehrerinnen den eigentlichen Unterricht

a) in der Eingangsklasse zunächst ca. 20 min. in der Gesamtgruppe
mit rhythmischen Übungen, Spielen, Liedern, Bewegungs- und Haltungsspielen (Körperhaltung, Haltung des Bogens u.ä.)und danach ca. 20 min. aufgeteilt nach Instrumentengruppen (Violine, Viola, Cello).

b) in der zweiten bis vierten Klasse in Kleingruppen (2 – 4 Kinder) und in Einzelstunden.
Hier wird bereits Erlerntes gefestigt, neue Stücke eingeführt und – wo nötig – wiederholt und vertieft.

Besonders begabte Kinder können nun schon speziell gefördert werden und schwächeren Kindern werden nachgeführt und in ihren Grundlagen gefestigt.

Gleichzeitig wird regelmäßig Musik gehört!!!!

Auch während der Stillarbeitsphasen des übrigen Unterrichts (Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Kunst) hören die Kinder – gerne –  ausgesuchte Musik, besonders natürlich Streichermusik.

Ziel ist hierbei, den Kindern ein breites Kennen lernen von guter Musik zu ermöglichen (die Kinder fragen schon von selbst: „spielst du uns schöne Musik vor?“)

Wesentliche Grundlage des Instrumentalunterrichts ist auch das Singen!

Die meisten musizierten Stücke des Anfangsunterrichts werden auch gleichzeitig mitgesungen. Dadurch wird das Tongefühl gefestigt, sowie die Melodievorstellung und das Behalten von Tonfolgen unterstützt. Durch den Atembogen beim Singen wird unbewusst schon früh ein Gefühl für Phrasierung erworben; ganz abgesehen davon, dass das Singen (besonders auch mit lustigen Texten) den Kindern einen riesigen Spaß macht und in nicht zu unterschätzendem Maß Gemeinschaftsgefühl fördert. Viele der ersten Zwei- oder Dreitonstücke sind aus Gedichten oder Versen aus dem Lesebuch entstanden oder aus momentanen Situationen improvisiert.
Z.B.: „heute war der Zahnarzt da – das war wirklich wunderbar…..“ oder ähnliche.
Die Kinder haben sich daran gewöhnt, mit Texten und Melodien zu improvisieren und auszuprobieren und machen oft auch eigene Vorschläge.
Dabei zeigt es sich auch immer wieder, wie wichtig Authentizität und Originalität für das Selbstverständnis der Kinder ist. Ein Lied, das bisher noch keiner gesungen hat, ist immerhin etwas Besonderes.

2008 wurde das Projekt als „ausgewählter Ort im Land der Ideen“ ausgezeichnet. Eine Initiative von Deutscher Bank und Bundespräsident.

In der Folge reiste eine komplette 4. Klasse (8 türkische, 6 italienische und 10 deutsche Schüler) nach Berlin um in der Landesvertretung des Saarlandes vor 150 geladenen Gästen ein eineinhalbstündiges Konzert zu geben.
Unter den Gästen waren zwei Cellisten der Berliner Philharmoniker sowie der Berliner Komponist Joachim Schmeißer, der für die Klasse ein Stück komponiert hatte, das hier zur Uraufführung kam.

Im gleichen Jahr wurden Kinder der Klasse zu einem Konzert der Stargeigerin Anne-Sophie Mutter in Luxemburg und zu einem anschließenden Treffen geladen.

2009 spielten die Streicherkinder der damaligen 4. Klasse in Hamburg zur Verleihung des Pulsuspreises der Technikerkrankenkasse an unsere Schule.

Aus dem Grundschulprojekt ist 2009 das Junge Philharmonische Kammerorchester Warndt entstanden. Hier treffen sich etwa 30 ehemalige Grundschüler und fortgeschrittene Kinder aus der 4. Klasse regelmäßig zum gemeinsamen Musizieren. Das Orchester hat sich in der Zwischenzeit einen guten Namen gemacht und ist vielfach, u.a. auch mit mehreren Chören der Region aufgetreten.

2013 führte das Orchester mit Kirchenchor „Sankt Sebastian Püttlingen“ eine Messe auf, die der Salzburger Komponist und Cellist Shane Woodborne für das Orchester geschrieben hat.

Auch in den aufnehmenden weiterführenden Schulen (insbesondere dem Warndtgymnasium) haben sich aus unseren Schülern inzwischen Streichergruppen gebildet, die regelmäßig öffentlich auftreten.

Die Finanzierung des Projektes – insbesondere die inzwischen begonnene gezielte Förderung von besonders talentierten Schülern – ist auch weiterhin nur durch wohlwollende Sponsoren möglich.

Das Interesse an unserem Projekt ist auch im neunten Jahr ungebrochen.
Im aktuellen 1. Schuljahr (2017/18) haben wir 38 Anmeldungen, d.h. in den beiden Eingangsklassen haben sich nur 4 Kinder nicht für das Erlernen eines Streichinstrumentes gemeldet.